Tradition
"Still und recht unwinterlich begann das neue Jahr in unserem Dorfe. Reges Leben brachte aber wie immer der »Zweitjänner«, indem die Neujahrsgesellschaft schon vom frühen Morgen an durch die Strassen zog um etwelche Schläfer mit Musik und Lärm zu wecken.
Es mag wohl viele Leute geben, die nichts von einer solchen Verkleiderei und Aufregung halten und die jungen Burschen verlachen, die in langer Arbeit ihre originellen Aufmachungen und Kostüme verfertigten und ihre Musikstücke einübten. Sie vergessen aber, dass diese jungen Leute einen alten Brauch aufrechterhalten, einen Brauch, von dem schon ihre Vorväter zu berichten wussten. Und solange sie dies tun, es in einer durchaus anständigen Art tun, solange darf in unserem Dorfe dieser Brauch nicht verschwinden. Er ist ein kleiner Ueberrest aus einer längst vergangenen Zeit, nicht aus kommerziellen Interessen erfunden, sondern überliefert von alters her."
- Oberländer Tagblatt, 4. Januar 1956
Unser Brauchtum
Das «Neujahren» ist ein Jahrhunderte alter Brauch, der nur in der Gemeinde Sigriswil vorkommt. Ursprünglich diente dieser heidnische Brauch dazu, die bösen Geister zum Jahresanfang zu vertreiben. Später waren es wohl vorwiegend Bauernknechte, welche in der strengen Winterzeit Geld und Würste sammelten, um ein Fest zu feiern. Der Brauch war früher bei den Kirchen und vielen Bürgen aufgrund seines heidnischen Ursprungs ungern gesehen, weshalb dieser auch in den Geschichtsbüchern ignoriert wurde und keine Aufzeichnungen bestehen. Gemäss den Überlieferungen hat sich der Brauch im Laufe der Jahre jedoch kaum gewandelt.
Wir, die jungen, ledigen Männer schliessen uns jeweils anfangs Dezember dorfweise zu Neujahrsgesellschaften zusammen. An Silvester ziehen wir vor und nach Mitternacht mit Treicheln und Glocken durch das Dorf und läuten das alte Jahr aus und das neue Jahr ein. Diesen Teil des Brauchtums nennt man "glocknen". Wenn übrigens ein Mitglied der Neujahrgesellschaft heiratet und damit automatisch aus der Neujahrgesellschaft ausscheidet, oder auch wenn eine junge Frau aus dem Dorf heiratet, so geht die Neujahrsgesellschaft ebenfalls gegen Mitternacht bei der Hochzeitsfeier glocknen, was dem frisch getrauten Ehepaar Glück bringt.
Der 1. Januar bringt etwas Ruhe in die für uns drei schönsten Tage im Jahr. Wir feiern am Abend in der Turnhalle gemeinsam mit den anwesenden Musikkapellen und geben auch das eine oder andere Ständchen zum Besten. Die Merliger-Hymne «San Carlo» darf unter keinen Umständen fehlen!
Am 2. Jänner ziehen wir Neujahrer verkleidet von Haus zu Haus, begleitet von Musik und einer gesunden Portion Lärm. Wir teilen nach dem traditionellen z’Morge die Gesellschaft auf und begeben uns auf verschiedene Touren, wie zum Beispiel auf die berühmt berüchtigte «Bärenegg-Tour». Bei vielen Häusern, in den der Gruppe zugeteilten Dorfteilen, wartet man schon auf uns.
In den Häusern erhalten wir jeweils etwas zu trinken und essen, es wird gesungen, musiziert, «dorfet» und Geld gesammelt. Der gesammelte Betrag dient verschiedenen Zwecken. So spenden wir beispielsweise den Grabschmuck unserer verstorbenen ehemaligen Mitgliedern. Auch veranstaltet die NGM diverse Anlässe, wie zum Beispiel das Adventsfenster mit Racelette à discretion - gratis für alle Gäste!
Mit den restlichen finanziellen Mitteln leisten wir uns im Laufe des Jahres einen kleinen Ausflug.
Nach dem Mittagessen (bei welchem idealerweise alle Gruppen pünktlich wieder zusammenkommen), begeben wir uns auf den Fritz-Frutiger-Platz. Zusammen mit musikalischer Unterstützung der Guggenmusik Grönbachgusler Merligen führen wir unsere Kostüme den Zuschauern vor, ehe die Tour durchs Dorf fortgesetzt wird.
Am Abend des 2. Jänners wird das beste Kostüm von versammeltem Publikum in der «Prämierung» gewählt und ausgezeichnet. Diese Ehrung beendet jeweils das Brauchtum offiziell.
Die Aufrechterhaltung dieses Brauches ist heute wichtiger denn je. Er stärkt den Zusammenhalt im Dorf und bringt die Merliger zusammen. Die Kameradschaft unter den Mitgliedern der NGM hält ein Leben lang! In einer sich immer schneller fortbewegenden, immer moderneren Zeit ist es wichtig, alte Bräuche zu pflegen und sie weiter zu ziehen!